Künftiger Gedenkort Güterbahnhof Moabit

Ausstellung in der Vitrine vor dem Rathaus Tiergarten vom 2. bis 30. November 2015

Sie waren Nachbarn informiert über die Geschichte, die Planung und den Stellenwert dieses Gedenkortes.
Wir möchten damit auch eine Diskussion in Moabit anstoßen. Die Wünsche und Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger wollen wir dann den beteiligten Verwaltungen vortragen.

Die Judendeportationen

„Dem Holocaust fielen 5 bis 6 Millionen Menschen in Europa zum Opfer. Mehr als 130.000 Juden wurden in der Zeit zwischen Oktober 1941 und Mai 1945 mit der Eisenbahn allein aus dem Deutschen Reich in zahlreiche Ghettos und Vernichtungslager verschleppt.
Die Deportation der Berliner Juden folgte dem Muster der übrigen „Judentransporte“ aus dem Deutschen Reich. Die meisten Zuginsassen wurden bald nach ihrer Ankunft ermordet. Mehr als 60 dieser Berliner Transporte rollten während jener Jahre nacheinander in den „Osten“, also nach Litzmannstadt (Lodz), Minsk, Kowno (Kaunas), Riga, in den Distrikt Lublin, nach Warschau, nach Maly Trostinec bei Minsk, nochmals nach Riga und Reval im Baltikum sowie zuletzt – ab Ende 1942 – auch nach Auschwitz. Daneben wurden vor allem die älteren Juden seit Juni 1942 aus Berlin in über 120 Transporten zunächst in das Ghetto Theresienstadt in Böhmen gebracht. Zahllose Menschen starben schon dort, viele wurden aber noch weiter zu Vernichtungsstätten deportiert.“

Aus Berlin wurden bei über 180 „Judentransporten“  zwischen 1941 und 1944 ungefähr 55.000 Menschen deportiert, dabei allein über den Güterbahnhof Moabit ca. 30.000 Menschen. Mindestens 8.000 Jüdinnen und Juden  sind in diesem Zusammenhang im Verlauf des Jahres 1942 durch die Straßen Moabits getrieben worden.
Daran soll der neu zu errichtende Gedenkort Güterbahnhof Moabit erinnern.

(Text zitiert mit freundlicher Erlaubnis des Deutschen Technikmuseum/Abteilung Schienenverkehr aus dem Flyer der Ausstellung „Judendeportationen“ 1941 – 1945)

Die Deportationszüge fuhren überwiegend von den sogenannten Militärgleisen 69, 81 und 82 des ehemaligen Güterbahnhofs Moabit ab.

Bereits vor der Wende in der DDR war es historisch unstrittig, dass eine größere Gruppe der Berliner Jüdinnen und Juden vom Güterbahnhof Moabit aus deportiert worden sind.
Dabei sind die Unterlagen darüber sehr lückenhaft, da die Gestapo-Leitstelle Berlin und die Reichsbahn / Generaldirektion der Ostbahnen die entsprechenden Papiere vernichtet hat.
Vor der Wende scheuten im damaligen West-Berlin die damit befassten staatlichen Stellen Verhandlungen mit den DDR-Behörden. Deshalb strebten sie kein Mahnmal am authentischen Ort auf dem Güterbahnhof Moabit an. Doch auch nach 1989 sah es nicht viel besser aus. Da standen der Umbau der ehemaligen Reichsbahnanlagen und die wirtschaftliche Verwertung der dabei freiwerdenden Grundstücke im Vordergrund.
Historiker, Journalisten, Institutionen wie die Topographie des Terrors und Moabiter Bürger machten das zuständige Bezirksamt und die entsprechende Senatsverwaltung immer wieder auf den zunehmenden Verlust an historischer Substanz aufmerksam. Trotzdem bewegte sich in dieser Angelegenheit über Jahre nichts ( siehe auch Zeitleiste ).

Was kann heute als historisch gesichert betrachtet werden?
Von Mitte 1942 bis zum Januar 1944 sind vom Güterbahnhof Moabit ca. 30.000 Menschen deportiert worden. Die meisten von ihnen sind in den KZs im Osten ermordet worden.
Was finden wir heute noch an authentischer und historischer Substanz am geplanten Gedenkort?
Teile der Rampe aus alten Eisenbahnschwellen, überwiegend stark verwittert, beschädigt und dringend konservierungsbedürftig, wenige Meter des ehemaligen Militärgleises 69 (wobei die Schienen selbst aus DDR-Produktion stammen) sowie der alte Weg von der Quitzowstraße auf das ursprüngliche Bahngelände.
Das Grundstück, das sich jetzt in Öffentlicher Hand befindet, liegt kaum erkennbar zwischen einem die Situation beherrschenden Baumarkt und einem Discounter.
Was soll der neue Gedenkort hier leisten?
Er soll den nächsten Generationen, die nicht mehr auf Zeitzeugen zurückgreifen können, die Ungeheuerlichkeit des Holocaust vermitteln. Hier begann ein wichtiger Teil des Leidenswegs, die Eisenbahn war das große Schwungrad, das die Menschenmassen in den Osten transportierte.
Der Gedenkort kann aber nicht isoliert bestehen, er muss mit dem noch zu kennzeichnenden Deportationsweg durch Moabit und dem Ort des Sammellagers in der Levetzowstraße in Zusammenhang stehen.
Er soll auch einen Teil der Versäumnisse der letzten Jahrzehnte wieder gutmachen und die Dürftigkeit des augenblicklichen Ortes durch eine eindrucksvolle Idee überwinden helfen.
Was ist dazu nötig?
Die Aufgabe erfordert ein umfassendes Quellenstudium und die Annäherung an den Stadtteil mit seiner historischen Substanz. Gleichzeitig warten die Menschen darauf, die seit einigen Jahren Erinnerungsarbeit im Bezirk, aber auch weltweit mit den Nachkommen der ermordeten Juden leisten, mit einbezogen zu werden. Bei der Vielschichtigkeit dieser Aufgabe halten wir es unbedingt für wünschenswert, dass ein breiter Diskussionsprozess dazu stattfindet. Schließlich sind neben den künstlerischen auch historische und archäologische Aspekte zu berücksichtigen, nicht zuletzt auch brennend aktuelle Erfahrungen.
Unsere Erfahrungen mit Schülern und den jüdischen Angehörigen bestärken uns in dieser Annahme. Wir könnten uns vorstellen, dass eine in solchen Prozessen erfahrene Institution wie die Topographie des Terrors oder eine der Berliner Kunsthochschulen zu der notwendigen Moderation in der Lage wären. Die Jury sollte gerade in diesem Fall die unterschiedlichen Sichtweisen auf die schwierige Aufgabe berücksichtigen und eine in die Zukunft gewandte Entscheidung möglich machen.

Zeitleiste:

  • 1985 Wettbewerb zum Mahnmal Levetzowstraße (Architekten Jürgen Wenzel, Theseus Bappert und der Bildhauer Peter Herbrich †).
  • 1987 Errichtung des Denkmals auf der Putlitzbrücke (Bildhauer Volker Haase).
  • 2000 war das Gleis 69 mit der dazu gehörenden Rampe noch weitgehend erhalten.
  • 2000 legt Jochen Spielmann der Vivico als für das ehemalige Bahngelände zuständige ein Gutachten über die historische Bedeutung des Güterbahnhofs Moabit vor. (Dieses Gutachten ist nicht veröffentlicht worden. Dem Autor sind
    keine Konsequenzen aus dem Gutachten bekannt. Der Inhalt entspräche dem
    des Buches „Mahnort Güterbahnhof Moabit“ von Alfred Gottwaldt, Berlin 2015).
  • 2002 liegt dem Bezirksamt Tiergarten / Mitte ein Bericht über die Deportationsgleise auf dem Güterbahnhof Moabit von A. S. vor.
  • Seit ca. 2005 findet ein Runder Tisch zur Gestaltung eines Gedenkortes am Güterbahnhof Moabit bei der Topographie des Terrors Nach 2007 beendet, da aus Geldmangel in nächster Zukunft keine Realisation eines Denkortes möglich ist.
  • 2006 liegt ein Gutachten im Auftrag des BA Mitte (Tiergarten) von Diana Schulle et al. zur Geschichte des Güterbahnhofs Berlin-Moabit unter schwerpunktmäßiger Berücksichtigung der Geschichte der Deportation der Berliner Juden von den Gleisen 69, 81 und 82 vor
  • seit 2007 fragt ein Berliner Journalist regelmäßig beim BA Mitte und der Senatskulturverwaltung nach dem aktuellen Stand zum Gedenkort am ehemaligen Güterbahnhof Moabit nach.
  • 2007 wird auf Drängen der Topographie des Terrors eine provisorische Informationsstele in der Quitzowstraße aufgestellt.
  • Oktober 2011 erfolgen Veröffentlichung und Ausstellung der Deportationslisten der Moabiter Juden durch die Initiative „Sie waren Nachbarn“
  • 2011 gründen Bürger aus der Thomasiusstraße eine Initiative, um für alle ermordeten Jüdinnen und Juden aus dieser Straße Stolpersteine zu verlegen.
  • 2013 findet eine dreiwöchige Veranstaltungsreihe zum Schicksal der Moabiter Juden durch „Sie waren Nachbarn“ statt. Bei der Abschlussveranstaltung wird die dringliche Forderung nach der Schaffung eines Gedenkortes am ehemaligen Güterbahnhof Moabit gestellt.
  • Februar 2014 findet eine Veranstaltung zum Sammellager in der Synagoge Levetzowstraße und der Magisterarbeit von P. D. durch „Sie waren Nachbarn“ statt.
  • 2014 beantragt das BA Mitte bei der Stiftung Lotto Berlin Mittel für einen Gedenkort, da die öffentlichen Kassen dafür leer sind. Die Senatsverwaltung Kultur ist bereit, einen beschränkten Wettbewerb zu finanzieren und zu veranstalten.
  • Januar 2015 stellt Alfred Gottwaldt auf einer Veranstaltung in der Topographie des Terrors sein Buch „Mahnort Güterbahnhof Moabit“ vor.
  • April 2015 richtet „Sie waren Nachbarn“ einen Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister mit der Bitte, die Vergabe von Lottomitteln für den Gedenkort zu unterstützen.
  • Im Juni 2015 werden die Lottomittel dafür bewilligt.
  • Jetzt plant der Bezirk Mitte und die Senatsverwaltung für Kultur die Einrichtung des Gedenkortes Güterbahnhof Moabit, der dann Ende 2016 fertig gestellt sein soll.